ART+PRODUCTION
FREIHEIT UND BILD
KUNST IM BILD
     
 




  Berlin - Sinnbilder der Freiheit Horst-Peter Zeinert © Wer in Berlin nach einem Monument sucht, das den Wert der Freiheit für die Republik versinnbildlicht, wie er für das nationale Bewusstsein der USA in der von Fréderic-Auguste Bartholdi 1886 geschaffenen Statue of Liberty zum Ausdruck kommt, begibt sich auf einen Parcours nationaler Topoi mit ungewissem Ausgang. Zwar hat Berlin aus seiner politischen wie kulturellen Geschichte bemerkenswerte Bauwerke vorzuweisen, die als Wahrzeichen der Stadt Beachtung und Anerkennung gefunden haben, aber eine spezifisch am Freiheitsbegriff orientierte Ausdrucksform, die man im Stadtbild als repräsentative Symbolarchitektur identifizieren könnte, ist schwer auffindbar. Im historischen Kontext dominieren Bauwerke, die den „Sieg“ als nationalen Wert in der öffentlichen Wahrnehmung manifestieren oder gar im Zeichen göttlicher Führerschaft überhöhen. Zeugnisse dieses tradierten Geschichtsbewusstseins sind die Siegessäule, das Denkmal preußischer Siege mit ihrer aus der römischen Mythologie entlehnten Siegesgöttin „Viktoria“, und das von Langhans 1791 vollendete Brandenburger Tor mit Schadows Quadriga, zunächst gelenkt von der „Friedensgöttin Eirene“, die nach dem Raub von Napoleon 14 Jahre später als griechisch-mythische „Siegesgöttin Nike“ auf das Tor zurückkehrte. Das Tor selbst, wenn auch von Friedrich Wilhelm II. gewünscht, hatte bei der Eröffnungsfeier am 6. August 1791 keine Beachtung des Herrschers gefunden. Es sollte eigentlich, so sein Wille, auch nur der abschließenden Verschönerung der Straße „Unter den Linden“ dienen. Hieran wird sichtbar, was verborgen bleibt: Die Freiheit der Machtausübung - von Gottes Gnaden - und zum eigenen Ruhme, aber auch eine Gegengewalt, die nach Befreiung von dieser Macht Freiheit erstrebt. So repräsentiert das Brandenburger Tor einmal mehr die Polarität des Freiheitsbegriffes: Das Tor wird zunächst beim Einzug Napoleons als Triumph-Symbol der Befreiung wahrgenommen, alsbald unter seiner Herrschaft als Tor, durch das der Feind eindrang, um ein Volk zu unterwerfen, bis dieses sich aus dieser Vorherrschaft befreien konnte. Jetzt wandelte sich die Symbolik im Zeichen der zurückgeführten „Quadriga“. Im Mythos der „Siegesgöttin Nike“, die nunmehr als Lenkerin der Quadriga den Platz der einstigen „Friedensgöttin“ einnahm, wurde das Brandenburger Tor ein Leitmotiv deutscher Geschichte. Schattenhaft wuchsen im Vormärz ab 1815 Konturen einer liberalen Bewegung, deren „Freigeister“ in der Folgezeit und der späteren Märzrevolution 1848 als Revolutionäre das Tor für die eigenen Ziele reklamierten. Das Tor schien als Passage dem Einzug eines neuartigen Freiheitsbewusstseins zu dienen. Wenn es auch faktisch keine kongruente Wiederholung von Historie gibt, so ist doch festzustellen, dass das Brandenburger Tor im darauffolgenden 20. Jahrhundert durch politische Ereignisse, die erneut den ambivalenten Freiheitsbegriff widerspiegeln, gleich zweimal jene Symbolkraft des Sieges zurückgewann, die überwunden schien: Am 30. Januar 1936 im großen Fackelzug des nationalsozialistischen Regimes durch ihr „Triumph-Tor“ am Pariser Platz und am 22. Dezember 1989 im Strom der Menschen, die nach dem Zusammenbruch des kommunistschen Herrschaftssystems durch das wieder geöffnete Tor in die Freiheit drängten. - Ist das Brandenburger Tor damit ein Sinnbild der Freiheit geworden? Wohl kaum! Bis heute trägt es seinen ursprünglichen Namen „Brandenburger Tor“ und nicht „Tor der Freiheit“, wenngleich es auch in der poltischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung weltweit für kurze Zeit diesen Wert im Einklang mit dem Triumphgefühl des Sieges verkörperte. Das restaurierte Tor allein repräsentiert demnach als Wahrzeichen der Stadt ebensowenig den Wert der Freiheit, wie das Blattgold der „Viktoria“ auf der Siegessäule, die eben keine „Freiheitsstatue“ mit einer „Libertas“ werden kann. Sinnbilder zu schaffen erfordert mehr. Den Weg dorthin sehe ich in Kontextzuordnungen für derartige Kulturzeugnisse. Erst hierdurch kann das architektonische Erscheinungsbild in ein Sinnbild übergeführt werden. Mir scheint gerade für Berlin, das lange im Schnittpunkt der Nachkriegspolitik zwischen Freiheit und Willkür lag, dieser Ansatz effektiv, um das Bewusstsein für „Sinnbilder“ zu stärken. Dabei kann es nicht primär um die stereotype Registrierung derartiger Bilder gehen, sondern um Formen der Auseinandersetzung, die zu erweiterten Sichten auf politische und ästhetische Strukturen mit ihren Wertbindungen in der Gesellschaft führen. Als die Mauer transparent wurde und schließlich fiel, waren für mich Ziel und Weg vorgezeichnet: Eine fotoästhetische Dokumentation sollte den Umbruch in eine neue Ära manifestieren. In meinem Katalog-Faltblatt für die spätere Doppelausstellung in Prag und Berlin schrieb ich 1990:    "Die Mauer verhinderte 28 Jahre das normale Zusammenle- ben in der Stadt. Sie war Ausdruck der Unvereinbarkeit zweier Gesellschaftssysteme. Als bewachte Staatsgrenze, an der Men- schen verbluteten, stellte sie ein Sinnbild der Unmenschlichkeit dar. Mit ihrer politischen Überwindung wandelte sich ihr Symbol- wert. Das Bild ihres Verfalls wurde für kurze Zeit zum Bild des Triumphes von Humanität und Freiheit.“   Bereits in diesen Formulierungen wird die Brüchigkeit von Ereignissen thematisiert, die als idealistische Werte dauerhaft gewünscht werden, aber historisch selten von Dauer sind. Es ging mir eben nicht nur um die Abbildung der Geschehnisse am Ort, sondern um deren Umformung und Konservierung in einem künstlerischen Akt, der in einem „Sinnbild“ erfasst ist.   So entstand das dynamische und komprimierte Bild „DER ROTE REITER SPRENGT DAS TOR“, also das aus einzelnen authentischen Motiven Gebildete, was der amerikanische Präsident Ronald Reagan 1987 vor dem verschlossenen Brandenburger Tor ostentativ gefordert hatte, um Freiheit zu erlangen: „Tear down this Wall“. Bildbestimmend sind dabei der Rote Reiter, eine originale, in der „Blutfarbe“ ausgeführte Mauerzeichnung, der auf das vermauerte weiße Brandenburger Tor (ursprüngliche Farbe des Bauwerks - nunmehr bildlich aus dem „Negativ“ des Films politisch negativ markiert) trifft und die bis in den Himmel reichende Mauer aufspaltet. Sein Ritt hinterlässt Spuren von Menschen unter sich. Eine Folge der entzogenen Freiheit kommt im Bild „Gesichtsverlust“ zum Ausdruck: Person und Mauer verschmelzen, ohne Hoffnung auf Freiheit, die noch in der Anfangsphase des Mauerbaus bestand und im Bild „Nie wieder“, der spontanen Flucht eines Grenzsoldaten im Schaukasten des Museums Haus am Checkpoint Charlie mit eben dieser „Zeile“ zum Ausdruck kommt. „Menschen an der Berliner Mauer erwarten 1989 am Ende der Feiertage des Weihnachtsfestes mit der Botschaft „Friede auf Erden“ das Ende einer nicht friedenstauglichen und freiheitsfeindlichen „Volks-Demokratie“. Das von der Last des Zwiespalts befreite Volk wagt einen „Blick durch die Berliner Mauer“. Rückschau und Vision vom Aufbruch in eine andere Epoche bewegen die Menschen gleichermaßen. - In der Summe ergibt sich für diese Motivgruppe aus den Bildern vor dem Brandeburger Tor ein Sinnbild besonderer Art: „Die steinernen Tränen der Republik.“. Ganz anders erscheint das Freiheitsbild nach der Aufhebung der Teilung am 3. Oktober 1990, dem offiziellen Feiertag der Deutschen Einheit. In dieser Motivgruppe bestimmen das Erscheinungsbild des Brandenburger Tores, die Statue des „Rufers“ von Gerhard Marcks und der Himmel über Berlin das Sinnbild der neu gewonnenen Freiheit in dieser Stadt. Das Brandenburger Tor ist nunmehr, von der historischen Quadriga „befreit“, im wörtlichen Sinne in einem anderen Licht an diesem Tag zu erleben. Der Himmel wirkt in seinem intensiven Blau wie eine Brücke in die Zukunft, lichthell und unergründlich geweitet über der Stadt. Das Tor scheint der Zugang - den „imaginären Propyläen“ gleich - zu jenen anderen Dimensionen des Göttlichen zu sein, frei von der Last der Historie, eine mythische Pforte zum ersehnten Heiligtum erfüllter Menschwerdung. Je nach Perspektive bildet es den Rahmen für terrestrisch gebundene Wahrnehmungsmuster in Gestalt der „Siegessäule“ oder der des“ Roten Rathauses“. Wie in der altägyptischen Mythologie angelegt, scheint sich dieser Tag aus dem Schlaf seiner Existenz aufsteigend in „poetischer Freiheit“ zu erheben, um im Zenit des Erhabenen mit dem nahenden Dunkel der Nacht, Stille zu gebären, die im Schein der sinkenden Sonne alle Menschen erfasst - eingefangen in der Lyrik meiner Fotoserie „Der Rufer vor dem Brandenburger Tor“ - „Am Brandenburger Tor 1990“ - „Am Tag der Deutschen Einheit“ - dem „Tor in die Freiheit - dem „offenen Tor am 3. Oktober 1990“, dem „Tag der Deutschen Einheit“ und schließlich dem „Himmel über Berlin am 3. Oktober 1990.“ In dieser Einheit aus Natur, Zeitgeschehen und Kultur gehört als fotolyrisches Element der lautlose „Rufer“, zu dem einiges anzumerken ist, zumal er gleich in mehreren Bildern eine von mir für den Freiheitsgedanken verwendete Figur ist, nicht zuletzt entdeckt im Garten des Käthe-Kollwitz-Museums am Literaturhaus in der Künstlerdomäne der Fasanenstraße in Berlin-Charlottenburg.    „Der Rufer“ befindet sich u.a. auf dem Mittelstreifen der „Straße des 17. Juni“ im Berliner Bezirk Tiergarten. Es ist der Nachguss der Plastik von Gerhard Marcks (1889-1981). Erst 1989, zum 100. Geburtstag des Bildhauers, wurde er dort aufgestellt und im Sockel um die Inschrift des italienischen Dichters und Humanisten Francesco Petrarca (1304-1374) mit den Worten „Ich gehe durch die Welt und rufe Friede Friede Friede" bereichert. Das Motiv ist abgeleitet von der Gestalt des Stentors (Στεντωρ) aus der „Ilias", dessen Stimme so laut war wie die von 50 Männern. In ihm sah der Künstler die Verkörperung des Rechtes auf Meinungsfreiheit. Am Berliner Standort stellte sie einen ganz neuen politischen Bezugsrahmen her, der in Bremen so nicht bestand.   Ich habe diese politische Akzentuierung aufgegriffen und in mein fotoästhetisches Gesamtkonzept, das die gestaltete Dokumentation historischer Augenblicke zum Ziel hat, integriert - verdichtet in einer Bildsprache, wie sie auch für die Menschheit in Munchs „Schrei“ expressiv verkörpert ist. Dies kommt in besonderer Weise in meinem Foto „Der Ruf der Freiheit“ zum Ausdruck. Zum besseren Verständnis der Bildidee möchte ich dazu einige ergänzende Hinweise geben. Motivisch gegenübergestellt wurden „zeichenhaft“ der Reichstag und ein typischer Wachturm der DDR. Nahe der unteren Bildbegrenzung ist ein Grenzkontrolleur der Staatsorgane der Deutschen Demokratischen Republik mit „Schreibpult“ zu sehen, wie er noch zum Zeitpunkt der Maueröffnung existierte - vor ihm Absperrgitter, hinter ihm die Berliner Mauer. In die Bildmitte, dem authentisch abgebildeten realen Grenzbereich - habe ich in starker Untersicht die riesige Gestalt des „Rufers“ projiziert. Diffuses Licht unbekannter Herkunft verleiht der Szenerie den magisch anmutenden Ausdruck jener manieristischen Malerei, in der das Licht selbst der eigentliche Akteur ist. Aus der Tiefe steigt die Schattengestalt des Künders, getragen vom Licht, empor, um durch den „Ruf der Freiheit“ die Welt mit Stentorstimme zu neuem Leben zu erwecken. Dadurch erscheint der politbürokratisch kontrollierte Grenzübergang, eine aus westlicher Sicht gezogene Demarkationslinie, in einem „historisch“ neuen Licht. Man ist verleitet, die Szenerie auf den römischen Spruch „per aspera ad astra“ zurückzuführen, der den mühsamen Aufstieg der Menschheit aus der Nacht zum Licht epigrammatisch zusammenfasst. Auf der Suche nach „Sinnbildern der Freiheit“ in Berlin habe ich Monumente und Wahrzeichen durch gestalte-   risch akzentuierte „Bildprozesse“ der Wahrnehmung von Augenblicken in einen zeitgeschichtlich aktualisierten Kontext gestellt. Es war keine Jagd nach Anlässen, geschichtsträchtige „Ikonen in Postkartenmotiven“ als Erinnerungsbilder vom Ort des Geschehens zu produzieren, um im heutigen Sprachgebrauch „Highlights“ zu sammeln. Das Anliegen war vielmehr, zum Auffinden von Sinnbildern der Freiheit konstruktiv anzuregen. Der „Parcours“ sollte aber nicht beendet werden, ohne die erneute Enthüllung eines „versteckten“ Sinnbildes in der Stadt, das nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 früh Signalwirkung entfaltete: die nach amerikanischem Vorbild, der „Liberty Bell“, geschaffene und am 24. Oktober 1950 offiziell übergebene „Freiheitsglocke“. Vielleicht hat ihr Klang, der während des Kalten Krieges regelmäßig zu hören war, mehr Menschen erreicht, als uns heute nach ihrem Verstummen bewusst ist. Insbesondere junge Menschen strömen vermehrt nach Berlin, darunter viele Israelis, die den Rausch der Vitalität dieser Metropole vorbehaltlos suchen. So scheint sich die Botschaft der Glocke in ihrer Inschrift zu erfüllen:„Möge diese Welt mit Gottes Hilfe eine Wiedergeburt der Freiheit erleben.“  ____________________ 
Anmerkung   Diese Text-Fassung wurde vom Autor für www.horst-peter-zeinert.de gekürzt. Lesen Sie bitte den vollständign Text in der Version, wie er am 13. August 2012 von der Friedrich-Naumann-STIFTUNG FÜR DIE FREIHEIT unter www.freiheit.org veröffentlicht wurde. Die erwähnten Bilder finden Sie unter www.bilderbuch-berlin.net.
Hinweis   Technisch bedingt kann es zu abweichenden Wiedergaben des eingestellten Inhaltes bei der Verwendung verschiedener Browser kommen. Für eine korrekte und aktualisierte Darstellung von Bild und Text ist daher die Benutzung von FIREFOX empfohlen.
 H.-P. Zeinert                                                                                                                                                           Stand: 14. 08.2012